Durch die Forschung von Selye wurde deutlich, dass viele unterschiedliche Situationen zu einer ähnlich ablaufenden Stressreaktion führen können. Lazarus konzentrierte sich, als Psychologe der kognitiven Wende, Jahre später darauf, warum nicht die gleichen Situationen bei unterschiedlichen Menschen zu gleichstarken Stressreaktionen führen. Er fokussierte sich damit besonders auf die kognitive und emotionale Bewertung der Situation. Damit wurde Stress als ein unausweichlicher Aspekt menschlichen Lebens anerkannt und die Wichtigkeit von Coping Prozessen in den Vordergrund gerückt (Lazarus, 2006).
Das Transaktionale Stressmodell beschreibt drei Formen der kognitiven Bewertung: die Primäre Bewertung, Sekundäre Bewertung und Neubewertung. Kognitive Bewertungsprozesse müssen dabei nicht notwendigerweise bewusst geschehen und auch die Bewertungsgrundlage ist nicht immer klar durch die Person erklärbar (Lazarus & Folkman, 1984).
Primäre Bewertung
Bei der primären Bewertung erfolgt eine Bewertung der Relevanz der Situation. Es wird zwischen drei Arten von Situationsbewertungen unterschieden: irrelevant, positiv und stressig (Lazarus & Folkman, 1984).
- Irrelevante Bewertung
Wenn eine Situation keine Implikationen bietet, dass das Wohlergehen der Person beeinträchtigt werden kann, ist diese irrelevant, da deren Werte, Bedürfnisse oder Verpflichtungen nicht in Gefahr sind. Reize, die zu Beginn als relevant eingeschätzt werden, können dabei durch Habituation auch zu einem irrelevanten Reiz werden (ebd.).
- Positive Bewertung
Bei einer positiven Bewertung wird eine Erhaltung oder Verbesserung des eigenen Wohlbefindens erwartet. Diese Bewertung geht mit freudigen Emotionen, wie Freude, Liebe, Glück, Heiterkeit oder Friedlichkeit einher. Vollständig positive Bewertungen sind aber selten, da davon ausgegangen wird, dass der gute Zustand vorübergehen wird, man für die guten Gefühle mit schlechten Gefühlen bezahlen muss, oder es entstehen Gefühle der Schuld oder Angst. Dies illustriert, dass Bewertungen komplex sind und auf persönliche Faktoren und den situativen Kontext ankommen (ebd.).
- Stressige Bewertung Die Bewertung, dass eine Situation stressig ist, unterteilt sich noch einmal in die Kategorien: Schaden/ Verlust, Bedrohung und Herausforderung (Lazarus & Folkman, 1984). Verlust beschreibt dabei den Fall, dass Schäden oder Verluste schon mindestens teilweise eingetreten sind. Dabei kann es sich um Fähigkeitsverluste, Verletzungen oder Krankheiten handeln. Aber auch um die Anerkennung von Selbstwertschäden, das gesellschaftliche Ansehen oder der Verlust eines geliebten oder wertgeschätzten Menschens. Die schädlichsten Ereignisse im Leben sind jene, in denen zentrale und umfangreiche Bindungen verloren gehen (ebd.).
Bedrohung betrifft Schäden oder Verluste, die noch nicht stattgefunden haben, aber erwartet werden. Selbst wenn ein Schaden/Verlust schon eingetreten ist, geht dieser mit negativen Implikationen für die Zukunft einher. Bei Patienten mit schweren Verbrennungen oder Opfern von Polio waren nicht nur die momentanen Schäden wichtig, sondern auch viele Bedrohungen für das zukünftige Funktionieren (Hamburg, Hamburg & DeGoza, 1953; Visotsky, Hamburg, Goss & Lebovits, 1961). Schaden/ Verlust lässt sich dadurch von Bedrohungen abgrenzen, dass bei letzterem noch vorausschauendes Coping möglich ist. Soweit wie Menschen ihre Zukunft vorhersehen können, können sie planen und Schwierigkeiten vorausschauend in Angriff nehmen (Lazarus & Folkman, 1984). Herausforderung ist die dritte Art der Stressbewertung. Es gibt viele Gemeinsamkeiten mit Bedrohungen, da es Coping-Bestrebungen mobilisiert. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Herausforderungs-Bewertungen den Fokus auf mögliche Gewinne setzt und nicht durch negative Emotionen wie Angst und Wut gekennzeichnet ist. Sie unterscheiden sich damit in ihrer kognitiven Komponente (die Bewertung des möglichen Schadens oder Verlusts gegenüber des Gewinns) und ihrer affektiven Komponente (negative versus positive Emotionen) (ebd.).
Bedrohungen und Herausforderungen schließen sich dabei nicht unbedingt gegenseitig aus. Bei einer Beförderung stehen neue Möglichkeiten für Anerkennung oder finanzielle Belohnungen, wie auch Gefahren der Überforderung im Raum. Ebenso kann sich eine zu Beginn eingeschätzte Herausforderung im Verlauf als eine Bedrohung herausstellen, wie auch umgekehrt (Lazarus & Folkman, 1984). Sieht man Situationen eher als Herausforderung, geht man diese eher mit Begeisterung, Ausdauer und Selbstbewusstsein an (Lazarus, 2006) und ist weniger emotional überwältigt und eher in der Lage benötigte Ressourcen zu aktivieren (Lazarus & Folkman, 1984).
Lazarus stellt mit diesen drei Kategorien ein Gegenkonzept zu dem Eustress/ Distress Ansatz von Selye auf. Je nach Bewertung der Situation werden dabei unterschiedliche Copingstrategien eingesetzt (Lazarus, 2006).
Sekundäre Bewertung
Während die primäre Bewertung etwas über die Bedrohlichkeit der Situation aussagt, werden bei der sekundären Bewertung die zur Verfügung stehenden Ressourcen analysiert. Diese Bewertung ist enorm wichtig, da sie beeinflusst, welche Copingstrategien verfügbar und erfolgversprechend sind und welche Konsequenzen damit verbunden sein könnten. Dabei geht es um die Ergebniserwartung - die Evaluation, ob ein Verhalten zu einem spezifischen Ergebnis führt - und die Effizienzerwartung - ob man sich in der Lage sieht, diese Handlung auszuführen (Lazarus & Folkman, 1984). Die sekundäre Bewertung über die Copingoptionen und die primäre Bewertung über die Bedrohungsintensität interagieren gemeinsam und beeinflussen das Stresslevel und die Stärke der emotionalen Reaktion. Die Interaktion dieser beiden Bewertungen kann hochkomplex sein. Wenn die Bewältigungsmöglichkeiten als gering eingeschätzt werden und man davon ausgeht, dass der erwartete Schaden nicht verhindert werden kann, folgt eine hohe Stressreaktion und das Gefühl der Hilflosigkeit. Ebenso beeinflusst die primäre Bewertung die Stressreaktion stark. Steht viel auf dem Spiel, kann man sich selbst bei hohen Bewältigungsmöglichkeiten von Zweifeln überwältigt fühlen. Damit eine Situation herausfordernd ist, muss jedoch ein Aufwand nötig sein, um diese zu überwinden. Die Bewertung einer Situation als Herausforderung erfolgt eher, wenn man ein Gefühl der Kontrolle gegenüber der Person-Umwelt-Beziehung hat. Dabei ist dieses Gefühl der Kontrolle in Bezug auf Herausforderungen auch in Situationen zu finden, in denen es wenige Möglichkeiten gibt etwas zu verbessern. Bei lebensbedrohlichen Krankheiten kann ein Gefühl der Kontrolle entstehen, wenn die Person es schafft nicht die positive Sichtweise zu verlieren oder den Schmerz tolerieren zu können (Lazarus & Folkman, 1984).
Neubewertung
Bei einer Neubewertung ändert sich die primäre Bewertung aufgrund von neuen Informationen aus der Umwelt, welche den Druck auf die Person verringern oder erhöhen, oder Informationen durch die eigene Reaktion. Eine Person reagiert beispielsweise auf die anfängliche Wut mit Gefühlen der Schuld, Scham, Gerechtigkeit oder Angst. Diese beidseitige Interaktion zwischen Person und Umwelt wird durch den kognitiven Bewertungsprozess mediiert. Bei der abwehrenden Neubewertung werden die Vergangenheit oder die gegenwärtigen Schäden positiver bewertet. Der Unterschied einer abwehrenden Neubewertung zu einer anderen Neubewertung besteht darin, dass sich erstere von der Person selbst heraus verändert und nicht durch neue Informationen (ebd.).
Ableitungen aus dem Transaktionalen Stressmodells
Durch das Transaktionale Stressmodell wird deutlich, dass die Stressreaktion von mehreren Faktoren abhängt. Ist eine Situation neu und unbekannt, weiß man noch nicht wie gut man damit umgehen kann. Zusätzlich erhöht schlechte Vorhersehbarkeit, ein unklares Ereignis und unklare zeitliche Faktoren den Stress. Je näher das Ereignis rückt, je länger es dauert und je unklarer ist, wann es zeitlich eintritt, desto größer der Stress (Lazarus & Folkman, 1984). Die Informationen was passieren wird, wie wahrscheinlich es passieren wird, wann es passieren wird und wie lange es dauern wird sind jedoch meistens nicht vollständig vorhanden. Wenn diese Informationen zur Einschätzung der Situation fehlen, spricht man von Unklarheit, die ebenfalls Stress erzeugen kann (ebd.). Die Benennung in primäre und sekundäre Bewertung wurden von Lazarus und Folkman (1984) später bereut, da sie zu mehreren Falschdeutungen geführt hat. Die Begriffe deuten an, dass die eine Bewertung wichtiger als die andere sein könnte oder das die primäre vor der sekundären Bewertung erfolgt. Keine dieser Bedeutungen wurde von den Forschern intendiert.
Coping
Coping beschreibt die Art, wie Menschen mit stressigen Lebensbedingungen um- gehen. Coping und Stress sind dabei teilweise reziprok, da ein ineffektives Coping zu einem höheren Stresslevel führt und ein effektives Coping zu einem geringen Stresslevel. Die Art der Herausforderungen, die aufgesucht werden, können dabei auch von den Copingerfahrungen beeinflusst werden, wodurch wiederum ein Einfluss auf die Stressoren erfolgt (Lazarus, 2006). Lazarus (2006) geht dabei davon aus, das Coping keine Eigenschaft ist, sondern eher von Eigenschaften beeinflusst wird. Dies umfasst besonders die Eigenschaf- ten: Ziele, Zielhierarchien, Überzeugungen über sich selbst und die Welt sowie die persönlichen Ressourcen. Unter Ressourcen versteht er insbesondere Intelligenz, Bildung, Geld, soziale Fähigkeiten, Unterstützung durch Familie und Freunde, physische Attraktivität, Gesundheit und Energie und eine positive Denkweise, wie Optimismus. Lazarus und Folkman (1984, S. 141) definieren Coping dabei wie folgt: We define coping as constantly changing cognitive and behavioral efforts to” manage specific external and/or internal demands that are appraised as taxing or exceeding the resources of the person.“Diese Definition beschreibt Coping als prozessorientiert, impliziert einen Unterschied zwischen Coping und automatisiertem adaptiven Verhalten, grenzt Coping von dem Ergebnis des Copings ab und setzt Coping nicht mit dem Meistern der Situation gleich. Bewältigung kann sowohl aus Tolerieren, Akzeptieren oder Vermeiden bestehen, wie auch aus Versuchen, die Umwelt zu meistern.
Es gibt dabei keine universelle Copinglösung für alle Situationen. Die Effizienz einer Copingstrategie hängt immer von der Person, der Bedrohung, der Stufe der stressigen Begegnung und dem Ergebnis ab. Das erwünschte Ergebnisses kann subjektives Wohlbefinden, soziales Funktionieren oder somatische Gesund- heit sein. Da der Fokus des gewünschten Ergebnisse sich im Verlauf des Lebens immerzu verändert, sind diese Faktoren rein kontextuell. Verleugnung kann in gewissen Situationen hilfreich sein, während es zum Beispiel bei einem Herzinfarkt sehr gefährlich ist. Lazarus (2006) nimmt dabei an, dass Verleugnung wirksam ist, wenn es keine Möglichkeit gibt auf den Stressor einzuwirken und schädigend ist, wenn es benötigte adaptive Aktionen verhindert. Es gibt leicht voneinander abweichende Auflistungen der unterschiedlichen Copingstile. Lazarus und Folkman (1984) unterscheiden: Konfrontatives Coping, Distanzieren, Selbstkontrolle, soziale Unterstützung aufsuchen, Verantwortung akzeptieren, Flucht/Vermeidung, geplantes Problemlösen und positive Neubewertung (S. 114).
Coping hat dabei zwei Hauptfunktionen, die entweder auf das Problem oder die Emotionen fokussiert sind. Bei der problemorientierten Funktion informiert sich die Person über die Handlungsmöglichkeiten und initiiert eine Aktion um die problematische Person-Umwelt-Beziehung zu verändern. Diese Aktion kann dabei sowohl auf einen Selbst wie auch auf die Umwelt ausgerichtet sein.
Bei der emotionsorientiert Funktion wird hingegen versucht die Emotionen zu regulieren, die mit der stressigen Situation verbunden sind. Es kann vermieden werden an die Bedrohung zu denken oder, ohne die Realität zu verändern, eine Neubewertung erfolgen (Lazarus, 2006, S. 114). Neubewertung ist dabei ein effektiver Weg um mit stressigen Situationen umzugehen. Teilweise ist es jedoch schwer, eine Neubewertung von einer Verleugnung abzugrenzen. Bei einer Neubewertung werden die Emotionen verändert, indem neue Bedeutungen hinzugefügt werden.
Ist ein Patient nach der Entdeckung einer Krankheit erst ängstlich, kann er sich dadurch beruhigen, das bei ihm eine helfende Operation möglich ist. Somit ist eine Neubewertung eine wichtige Möglichkeit lebensbedrohliche Krankheiten mit weniger Angst zu sehen. Sind die neu hinzugefügten Informationen echt, handelt es sich nicht um eine Verleugnung (ebd.).
Dabei werden in stressigen Situationen fast alle zur Verfügung stehenden Copingmöglichkeiten angewendet. Die angewendeten Copingstrategien werden je nach Kontext oder Persönlichkeit ausgewählt. Positive Neubewertung wird dabei je nach Persönlichkeitseigenschaften konsistent angewendet, während das einmalige Aktivieren von sozialer Unterstützung wenig über andere Situationen vorhersagt.
Wird eine Situation in der sekundären Bewertung als veränderbar angesehen, wird eher problemorientiertes Coping verwendet. Wird die Situation als unveränderbar angesehen, findet eher emotionsorientiertes Coping statt (ebd.). Im Verlauf einer stressigen Situation ändern sich auch die Copingstrategien. Dieser Prozess kann teilweise durch kollektive Muster beschrieben werden. Von der Warnung, dass bald die Prüfungsnoten veröffentlicht werden, über die Bekanntgabe der Noten bis zur Gesprächen unter den Kommilitonen wenden die Studierenden, je nach Stufe, ähnliche Copingstrategien an Coping ist ein starker Mediator zwischen dem Stressor und der emotionalen Reaktion. Geplantes Problemlösen und Neubewertung verbessert die emotionale Reaktion, während konfrontatives Coping und Distanzierung positive Emotionen verringern (ebd.). Die Effizienz jeder Coping Strategie hängt dabei von der kontinuierlichen Übereinstimmung mit den situativen Anforderungen ab und von den aktuellen Möglichkeiten, die die Umwelt bietet, wie auch von den beabsichtigten Ergebniskriterien (Lazarus, 2006).
Quellen:
- Lazarus, R. S. (2006). Stress and Emotion: A New Synthesis (2. Aufl.). New York: Springer.
- Lazarus, R. S. & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping.